Aufmerksamkeit in der digitalen Zeit – gibt’s die noch?

Wir sind immer online. Das ist toll, denn wir sind nicht nur permanent per Handy erreichbar, kriegen das Wichtigste unserer Kontakte per Kurznachricht über WhatsApp oder Facebook und können egal, wo wir sind, nahezu jede Information bekommen, die wir brauchen. Wir können auch jederzeit melden und verbreiten, was uns wichtig ist. Unserem Mitteilungsdrang freien Lauf zu lassen, helfen uns unter anderem die Textkorrektur, die Kamera, die Spracheingabe, automatische Übersetzungen – ganz nebenbei.

Zwei Personen die sich auf dem Rasen gegenüber sitzen. Eine Person hält ein iPhone, die andere Person iPad in der Hand.

Die digitalen Verführer

Die digitale Welt bietet unfassbar viele Möglichkeiten und lädt dazu ein, auch das gesamte Spektrum gleichzeitig nutzen zu wollen. Jede Option für sich ist ja auch ganz leicht und schnell zu bedienen. Ein Klick, ein Tap, ein Wisch: fertig. Zur nächsten Option.
Wer stringent über einen längeren Zeitraum eine Aufgabe bearbeiten will wird in der Regel alle paar Augenblicke mit einem neuen Signal abgelenkt. Er wird aufgefordert, seine Aufmerksamkeit sofort auf etwas anderes zu lenken. Und da wir erst wissen, wie wichtig zum Beispiel der kurze brummende Hinweis unseres Smartphones ist, wenn wir nachsehen, drängt uns die Neugier den aktuellen Arbeitsfluss zu unterbrechen. Immerhin könnte ein Teil der Familie dringende Hilfe brauchen. Also ist es richtig, dass all diese Signale unsere Aufmerksamkeit erregen.

Wie effizient sind wir noch?

Wir sind sehr effektiv geworden. Wir schaffen sehr viele Dinge parallel. Nur kann logischerweise nicht mehr jeder Gedanke in aller Tiefe und bis zum Schluss abgehandelt werden. Er wird häufig unterbrochen und nur selten gelingt uns die Kunst, exakt an dem Punkt anzuknüpfen, an dem wir zuletzt waren. Wir setzen irgendwo in der Nähe an oder beginnen womöglich sogar von vorn oder überspringen einen Aspekt. Wir brauchen für jede Aufgabe also entweder länger oder sie wird in der Qualität nicht so gut, wie sie höchstwahrscheinlich ohne Störung gelungen wäre. Meinen wir.
In Studien wurde jedoch keine Abnahme der Produktivität festgestellt (im Gegenteil die Arbeitsproduktivität in Deutschland steigt seit Jahrzehnten weiter kontinuierlich). Die ablenkenden Einflüsse sind zwar gestiegen, aber die verringerte Leistung wird offensichtlich stärker gefühlt als gemessen.
Wir entwickeln neue Kompetenzen, wie Filtern, Priorisieren und Fokus setzen. In manchen Fällen findet sich auch ein digitaler Helfer, der uns auf Knopfdruck für den benötigten Zeitraum alle Störfaktoren stumm schaltet (wie Social Media oder komplett alle Einflüsse aus dem Internet). Oder ein System, wie GTD (Getting Things Done) das alle Aufgaben mit uns gewichtet und auflistet.

Konzentrierter und wertvoller

Ja, es gibt sie noch, die Aufmerksamkeit. In der digitalen Zeit ist die Spanne nur sehr viel kürzer geworden. Ein knappes Gut also, das auf eine große Menge an Information trifft (wenn wir allein die aktuellen Upload-Zahlen bei YouTube betrachten). An dieser Stelle klafft die Schere zwischen Angebot und Nachfrage immer weiter auf – mit jedem Moment.
Und unsere Ungeduld wächst dabei mit der zunehmenden Geschwindigkeit, in der uns alles geliefert wird, was wir brauchen. Mit einem Klick sind wir beim nächsten Anbieter.
Was wir anbieten wollen, muss also so schnell wie möglich unmissverständlich klar machen, welchen Vorteil der Nutzer hier gewinnt. Wie gut er beraten oder unterhalten wird – welche Belohnung der Inhalt für ihn bereit hält.

Digitale Herausforderung

Können wir Menschen denn so schnell entscheiden? Ja. Und wir tun es schon immer, denn unser Gehirn ist darauf trainiert. Es erörtert nicht erst in nüchternen Pro- und Kontra-Erwägungen, ob der Löwe uns gegenüber freundlich gesinnt ist.
Und wie erreichen wir in einem solch schmalen Zeitfenster etwas? In einem Zeitfenster, das jederzeit von der nächsten Kurznachricht unterbrochen und das von Moment zu Moment von immer mehr Informationen und Anbietern hart umkämpft wird. YouTube wird jede Minute mit 300 weiteren Stunden Videomaterial gefüllt (von Mai 2013 bis Dezember 2014 hat sich die Menge verdreifacht und die Facebook-Videothek wächst ebenfalls beachtlich) – durch viele Nutzer, die dafür sorgen, dass ihr Material auch gesehen wird. Die auf der Suche sind nach der Nische, die sie erfolgreich besetzen können und dafür Titel und Texte optimieren, Keywords recherchieren und jeden möglichen Vorteil einbauen – oft als Hobby – nebenbei.

Wir müssen also für unsere Nische den Nutzen, den unser Angebot leistet, so relevant, nützlich, einfach und gleichzeitig so attraktiv wie möglich gestalten. Das funktioniert nur, wenn unser Angebot selbst glasklar positioniert ist. Wenn auf den ersten Blick – eventuell ganz nebenbei – deutlich ist, dass wir uns belohnen, wenn wir hier mehr Aufmerksamkeit investieren.