Ein Selfie von einem Jungen Mann auf der CM World Konferenz

Content Marketing World 2016: Audience is King

Vergangene Woche fand die weltgrößte Konferenz zum Thema Content Marketing in Cleveland, Ohio, statt. Ich war dabei und erlebte zwei Tage lang, warum Content Marketing längst nicht am Ziel ist – warum es zwar immer mehr Inhalte gibt, diese aber oft nicht zum Publikum durchdringen. Dazu später mehr.

Gastgeber des zum 6. Mal in Folge stattfindenden Events war der Bestseller-Autor und Gründer des „Content Marketing Institute“ Joe Pulizzi.

Der aus Cleveland stammende Pulizzi prägte den Begriff Content Marketing wie kein Zweiter. Die branchenspezifischen Forschungs-Publikationen des Content Marketing Institute trugen maßgeblich zur Professionalisierung und Verbreitung des Ansatzes bei. Umso mehr dürfte Pulizzi freuen, dass 2016 mehr als 3.000 Teilnehmer aus über 60 Ländern auf der Content Marketing World vertreten waren.

Die Bewohner des sonst recht beschaulichen Cleveland freuen sich merklich über das internationale Flair. Mit dem Konferenz-Ausweis um den Hals wurde ich mehrfach auf den Straßen der Stadt angesprochen: „How do you like Cleveland?“. Ich mochte es! Und zwar nicht nur weil man Downtown zu Fuß ablaufen kann, sondern vor allem weil Cleveland tolerant, weltoffen und äußerst freundlich ist.

Wer eine Stadt hautnah erleben will, schläft nicht im Hilton. Ich entschloss mich daher für eine airbnb Unterkunft, mitten in Chinatown etwa 15 Minuten südlich vom Stadtzentrum. Meine Gastgeber waren Andrew und Danny, ein Pärchen in den Zwanzigern. Die beiden Männer hätten das Klischee vom typischen Amerikaner kaum stärker widerlegen können. Sie argumentierten vehement gegen Trump, gegen Studiengebühren und für strengere Waffengesetze. Andrew und Danny repräsentierten ein fortschrittliches, junges Amerika. Ein Amerika, das in Deutschland bei all dem Unverständnis über ein vermeintlich unaufgeklärtes Volk oft in Vergessenheit gerät.

Bild der CM World 2016
Eine Foto von Cleveland Downtown

Slow Down – at the Right Key-Moments

Mittwoch Morgen, 7:00 Uhr. Nach meiner Ankunft am Vorabend blieb nicht viel Zeit, sich an die Hitze des mittleren Westens zu gewöhnen, bevor die CMWorld startete. Die erste Visitenkarte hatte ich bereits in der Schlange zum Einlass an eine Kommunikationsberaterin aus Cleveland verteilt. Tatsächlich machte es die offene Art der Amerikaner leicht, ins Gespräch zu kommen und ein Gefühl für das internationale Selbstverständnis der Branche zu entwickeln. Vor allem aber wollte ich herausfinden, was Unternehmen und Agenturen bewegt, die Content Marketing betreiben. Welche Herausforderungen identifizieren Experten und woran hapert es in der Praxis im Jahr 2016?

Eine zentrale Kritik, die unterschiedliche Redner thematisierten, ist die fehlende strategische Ausrichtung von Content Marketing. So beobachtet Robert Rose, der Chef-Stratege vom Content Marketing Institute, dass viele Unternehmen immer mehr Maßnahmen durchführen, ohne dass den Beteiligten die zugrundeliegende Strategie klar ist. Unter hohem Konkurrenzdruck würden hastig weitere 10 Whitepaper, 5 neue Videos oder andere Formate produziert. Einzelne dieser Maßnahmen mögen auch funktionieren. Doch auf diese Weise entsteht ein regelrechtes Wirrwarr. Am Jahresende wisse schließlich niemand mehr, ob die Unternehmensziele überhaupt erreicht wurden.

Ann Handley, Chief Content Officer der Plattform MarketingProfs.com, sah das ähnlich. Das Gefühl, ständig etwas Neues tun zu müssen, beschrieb sie in ihrer Keynote mit den Worten „everyone is hustling“. Ihre Antwort lautet „slow down, not always, but at the right key-moments“. Es gehe darum, zunächst zu überlegen, was das übergeordnete Ziel ist und dann eine Strategie zu entwickeln, mit der dieses Ziel erreicht werden kann. Mich persönlich überzeugte der Gedankengang, hin und wieder einen Gang zurückzuschalten. In der digitalen Zeit, die immer schneller an uns vorbeizuziehen scheint, brauchen wir mehr strategische Anker und weniger überhastete Maßnahmen.

Ein Mann der durch die Zuschauerreihen geht

Not Content is King, Audience is King

Handley fordert nicht nur strategisches Content Marketing, sondern kritisiert auch die inhaltliche Ausrichtung. Viele Inhalte seien immer noch produkt- oder markenzentriert und orientieren sich nicht wirklich an den Bedürfnissen des Publikums. Mit dieser Meinung steht Handley offenbar nicht alleine da, denn kaum ein Thema wurde auf der CMWorld 2016 häufiger diskutiert.

Mit dem Statement „not content is king, audience is king“ bringt der Marketingprofessor Chad Pollitt auf den Punkt, was viele äußern. Wenn sich die Inhalte nicht konsequent an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientieren, dann besteht keine Chance, diese zu erreichen. Denn zu Inhalten gehören Menschen. Andy Crestodina, Gründer und Chef-Stratege bei Orbit Media, fordert Content-Marketer daher dazu auf, sich folgende Frage stellen:

„How many people are waiting for your next article to go live?“

Dass in der Praxis häufig Content produziert wird, der eigentlich niemanden interessiert, zeigt er plastisch an eigens erhobenen Daten. Demnach erhielten 50% der untersuchten Facebook-Posts weniger als zwei Likes und noch seltener würden Artikel extern verlinkt.

Solche externen Verlinkungen sind im Wettbewerb um Aufmerksamkeit aber eine wichtige Ressource. Organische Reichweite, also Reichweite über Suchmaschinen, war ein Thema der Konferenz, dem hohe Bedeutung zugeschrieben wurde. Mit fast etwas überraschender Vehemenz machten einige Sprecher deutlich, dass der Fokus ihrer Meinung nach nicht auf sozialen Netzwerken als alleinige Distributionsplattform liegen sollte. Rand Fishkin, Gründer von MOZ und für mich einer der besten Sprecher der Konferenz, meinte hierzu:

„You are building on rented land, if your content is only on facebook“.

Bei Content Marketing geht es um langfristige Beziehungen – nicht um Klicks

Auch wenn Crestodina anhand der Facebook-Likes recht anschaulich verdeutlicht, dass viele Inhalte von Unternehmen im Netz auf geringes Interesse stoßen, geht es längst nicht immer darum, Klicks zu generieren. Der Storyteller Jonathan Crossfield ist vielmehr der Meinung, dass Content-Marketing-Verantwortliche sich die Frage stellen müssen, was mit dem Content letztlich passiert. Er bezweifelt zum Beispiel die Korrelation zwischen Facebook-Likes und dem Lesen eines Artikels und richtet den Fokus auf die Überzeugungskraft von Content Marketing. Diese Überzeugung könne nicht nur auf rationalen Argumenten beruhen, sondern bedürfe auch Pathos, also Emotionen.

Dieser Rückbezug auf die Terminologie der alten Griechen, erscheint hochinteressant. Im Kern geht es bei Content Marketing nach Meinung der Experten weniger darum, kurzfristig viele Menschen zu erreichen, „anzulocken“ oder die Verkäufe zu steigern. Rand Fishkin ist vielmehr der Auffassung, dass es sich um einen indirekten Akquisitionskanal handelt, der auf langfristige Beziehungen ausgelegt ist. Überrascht haben mich die Analytics-Daten, die Fishkin aus seiner Agentur offenlegt. Demnach interagieren die Webnutzer im Schnitt über 8 mal mit Inhalten der Website, bevor ein Newsletter abonniert wird. Im Anschluss öffnen diese Abonnenten den Newsletter jedoch viel häufiger, als solche, die mittels bezahlter Anzeigen auf den Newsletter aufmerksam wurden. Content Marketing hat also das Potential, langfristige, beidseitig profitable Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden aufbauen. Doch auch Fishkin ist der Meinung, dass dies nur gelingen kann, wenn eine Verbindung zwischen Content und Unternehmensstrategie entsteht.

Hier schließt sich der Kreis zu Handleys „slowing down“ und einer strategischen Ausrichtung von Content Marketing. Das Ziel langfristiger Beziehungen könne laut Handley zudem nur erreicht werden, wenn Content Marketing nicht markenzentriert ist, sondern das Publikum in den Fokus rückt. Diesem Publikum wirklich zuzuhören, dessen Bedürfnisse zu verstehen und daraufhin kreative Strategien zu entwickeln, sieht auch der Social Media Chef von LEGO, Lars Silberbauer, als eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre.

Ein Mann im Anzug der einer Bühne steht und einen Vortrag hält

Welche Dimensionen die CMWorld inzwischen angenommen hat, zeigt nicht zuletzt das Star-Aufgebot der Konferenz. Absoluter Höhepunkt war ein Interview mit Schauspieler Mark Hamill, alias Luke Skywalker, zum Abschluss der zwei Veranstaltungstage. Ich war beileibe nicht der einzige, der sich wie ein kleines Kind auf diesen Auftritt freute. Die ersten Reihen des Hauptsaals füllten sich binnen von Sekunden nach Eröffnung der Abschlussveranstaltung. Inhaltlich interessanter war jedoch ein Satz des Komikers Michael Jr., der Simon Sinek zitierte:

„It’s not about knowing what to do, it’s about why to do it”

Wenn die Mitarbeiter von Unternehmen und Agenturen davon überzeugt sind, dass ihre Inhalte Menschen einen Mehrwert bringen, ein Bedürfnis befriedigen, dann entsteht auch die notwendige Leidenschaft für herausragenden Content.

Die Content Marketing World 2016 war eine herausragende Gelegenheit, mehr über die internationale Verbreitung, unterschiedliche Sichtweisen und aktuelle Herausforderungen im Themenfeld Content Marketing zu erfahren. Die Einblicke der Experten haben gezeigt, dass Content Marketing bisher nicht strategisch genug angegangen wird. Es bleibt hinter seinem Potential zurück, da man sich auf die Umsetzung von Maßnahmen konzentriert, anstatt die Unternehmensziele im Blick zu behalten. Erfolge werden nicht konsequent gemessen, Zielgruppen werden nicht exakt analysiert. Wer Content Marketing als wertstiftende Kommunikationsform einsetzen will, muss jedoch konsequent betriebswirtschaftlich argumentieren. Es geht darum, dem Publikum einen Mehrwert zu bieten und sich als Experte innerhalb einer Branche zu positionieren. Gelingt dies, können immaterielle Werte wie Reputation und Vertrauen aufgebaut werden, die eine Marke langfristig stärken und letztlich auch die Verkäufe steigern.

See you next time Cleveland!