Zum 25. Geburtstag sehen wir uns das große Ganze an: Was haben unsere Kunden vor 25 Jahren gemacht? Was bewegt sie heute? Und wie sehen sie die Zukunft ihrer Branche? In unserer Interview-Reihe „Zeitreisen 1991 bis 2041“, macht Christoph Ranze, Gründer und Geschäftsführer von encoway den Anfang und schaut mit uns in die Zukunft.
Herr Ranze, wenn Sie 25 Jahre zurückdenken: Was hat Sie damals bewegt?
Christoph Ranze: Also '91 bewegte mich immer noch die Wiedervereinigung – ganz klar. Ich bin grenznah aufgewachsen. Ich bin also irgendwie ein „Wiedervereinigungs-Kind“. Für mich war das eines der größten Ereignisse meines Lebens. Gleichzeitig stehe ich ’91 in der Mitte meines Informatikstudiums in Trier. Ich hatte damals Glück. Wir waren sehr wenige Studenten. Acht Studenten in einem Jahrgang mit sechs Professoren. Ich habe eine Vorlesung aus dem Bereich künstliche Intelligenz bei Karl Hans Bläsius besucht. Wir waren zu zweit – nur der Professor und ich. So fand die Vorlesung an seinem Schreibtisch statt. Das Thema war wissensbasierte Systeme.
War das Ihr erster Berührungspunkt mit künstlicher Intelligenz?
Christoph Ranze: Ja, während meines Studiums gab es die ersten intensiven Diskurse zum Thema künstliche Intelligenz und Wissensrepräsentation. Das war die Zeit, in der es auch richtig losging mit dem Thema. Plötzlich wollten alle Leute Expertensysteme bauen, die möglichst schnell schlauer als die Menschen werden sollten.
Wann unternahmen Sie Ihre ersten eigenen Gehversuche?
Christoph Ranze: Das war auch ’91. In der Zeit, in der ich wahrscheinlich auch meine erste E-Mail verschickt habe. SONABIS hieß es und war ein kleines Expertensystem, das ich während meines Praktikums gebaut habe – auf Prolog-Basis. Das System bestand aus Regel- und Wissensbasen, die es Malereibetrieben ermöglichen sollte Regelwerke zu beherrschen: Welche Abfälle, welcher Art, in welcher Kombination, wie zu entsorgen sind? Für mich war dieser sehr pragmatische Ansatz der logischste Weg, um Wissen zu Sonderabfällen in ein Informationssystem zu bringen.
25 Jahre später: Haben wir heute Expertensysteme, die intelligent sind?
Christoph Ranze: Wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, würde ich sagen, dass jetzt eine neue Phase begonnen hat. Nach dem Hype der 90er waren die Ideen großer Expertensysteme lange in der Versenkung verschwunden. Die Distanz zwischen Theorie und Praxis war oft viel zu groß. Erfolgreich wurden KI-Ansätze dort, wo sie einfach als Technologie begriffen wurde. Bei encoway haben wir uns nie viele Gedanken darüber gemacht, ob unser Konfigurator nun ein theoretisch vollständiges und widerspruchsfreies KI-System ist. Wir sehen es einfach als Werkzeug, mit dem man auf einfachem und schlauem Wege komplexe Aufgaben lösen kann. Das scheint ein typisches Muster zu sein. Wir haben heute künstliche Intelligenz in vielen Anwendungen. Wenngleich der Intelligenzbegriff dabei sehr weit gefasst und interpretationswürdig ist. Ein aktuelles Beispiel ist ‘Big Data’. Mit der enormen Zunahme von Datenmengen wächst die Notwendigkeit, diese noch schneller und noch intelligenter zu verarbeiten. Deswegen haben beispielsweise auch Google und Facebook die künstliche Intelligenz wieder ausgegraben, um ihre Datenmengen und Komplexität an Informationen im Griff zu behalten.
Haben Sie vor 25 Jahren davon geträumt, dass KI heute so aussieht?
Christoph Ranze: Nein. Wenn ich an meine Euphorie nach meinem Abschluss denke: Wir wollten ‘Denksysteme’ bauen. Ich würde sagen, dass wir da nach wie vor annähernd so weit entfernt sind wie damals auch. Klar ist man dem ein bisschen näher gekommen und man kann ein bisschen was simulieren, aber das ist aus meiner Sicht etwas anderes. Vor 25 Jahren war es zumeist die Wissenschaft, die die KI als interessantes Forschungsfeld im Blick hatte. Heute sind es viel mehr die Problemstellungen aus konkreten Anwendungen, die den Einsatz und die Weiterentwicklung von KI forcieren. Es geht darum Informationsmengen zu bewältigen. Menschen nachzubilden ist etwas in den Hintergrund gerückt, während Konzepte künstliche Intelligenz in Anwendungen deutlich hoffähiger geworden sind. Der Traum von der Nachbildung bestimmter Formen menschlicher Intelligenz bleibt natürlich trotzdem bestehen und treibt die Entwicklung zum Beispiel in der Robotik an.
Wird es denn irgendwann die klischeebehaftete Interaktion mit KI geben, die wir aus der Science-Fiction kennen?
Christoph Ranze: Also wenn Sie mich nach 2041 fragen, natürlich werden da irgendwelche künstlichen humanoiden Roboter um uns herum laufen. Mein erstes Erlebnis hatte ich vor ein paar Jahren auf der HMI (Hannover Messe Industrie). Ich war Zuschauer bei einer Podiumsdiskussion. Drei Leute und eine Moderatorin saßen auf der Bühne. Die Diskussionsfragen waren: Wie weit würde der Einsatz von Robotern gehen? Und wie weit kann man das vermenschlichen?
Erst nach einigen Minuten fiel mir auf, dass es sich bei der Englisch sprechenden, japanischen Moderatorin um einen Humanoiden handelte. Die Moderatorin war ein Roboter – Turing-Test bestanden. In so einer Messehalle konnte man natürlich nicht wirklich gut hören, ob es sich um eine echte oder unechte, synthetisierte Stimme handelte. Aber das beeindruckende war: Dieser Humanoid besaß Körpersprache. Der Körper bewegte sich zur Sprache. Sowohl Gestik, als auch Mimik kamen der eines Menschen von weitem schon echt extrem nah. Das zeigt: Die Fortschritte in der Automatisierung und autonomer Technik sind schon enorm. Ich kann mir aber nach wie vor keine autonome Intelligenz vorstellen. Für mich behält auch diese Form der Robotik auf absehbare Zeit einen mechanistischen, nicht-intellektuellen Intelligenzbegriff. Wir reden dann beispielsweise eher vom Google-Auto, das durch San Francisco fährt. Irgendwann wird es normal sein, dass autonome Transportmittel durch die Gegend fahren – vielleicht sogar fliegen.
Wohin geht der Weg für KI?
Christoph Ranze: Aus meiner Sicht entwickelt sich die KI vor allem dort weiter, wo massive wirtschaftliche Anwendungsmöglichkeiten bestehen.
Heute erkennt man Quantensprünge in der Autonomisierung von Robotersystemen in der Produktion. Das ist im weitesten Sinne unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ einzuordnen. Und die Prozesse, die aus wirtschaftlicher Sicht technisch möglich sind, werden in Zukunft ein stark beschleunigtes Thema sein.
Ich glaube nicht so richtig daran, dass wir Intellektualität oder Empathie nachbauen. Zumindest sehe ich das nicht. Ich kann es aber auch nicht tiefer einschätzen. Stattdessen glaube ich, dass es in eine Richtung gehen wird, in der Fragen wie: „Wie geht Produktion?“, „Wie geht Paketauslieferung?“, „Wie geht autonomer Verkehr?“, beantwortet werden. Und natürlich wird es militärische Anwendungsbereiche geben - und jene sind es, die mir tatsächlich Angst machen.
Was machen wir in 25 Jahren?
Christoph Ranze: Einen Gesellschaftsentwurf für 2041 zu denken – nicht ganz einfach. Naheliegend ist die zunehmende Automatisierung. Ich war gerade bei I2B auf dem Podium und da ging es um Industrialisierung, Digitalisierung und Industrie 4.0. Natürlich stellt sich da jemand die Fragen: Wozu brauche ich denn all die Menschen in der Finanzbuchhaltung? Warum brauche ich so viele Menschen, die im Versicherungswesen arbeiten? Am Ende sind das doch alles Algorithmen. Da können Menschen schnell ersetzt werden. Im Wesentlichen habe ich aber keine Angst davor, dass den Menschen die Beschäftigung ausgeht, vor allem nicht durch KI. In Deutschland ist es seit Jahrzehnten so, dass der Grad der Automatisierung von Arbeit ständig steigt. Und tatsächlich steigt gleichzeitig die Anzahl sozialversicherungspflichtiger Jobs. Also trotz - oder gerade durch - Automatisierung wird die Arbeit irgendwie mehr. Künftig wird es jedoch eine deutliche Verschiebung von Berufsbildern geben – da bin ich mir ziemlich sicher. Es wird sehr viel mehr soziale und intellektuell anspruchsvolle Berufe geben – ganz sicher. Nach meinem Empfinden wird damit die größte Herausforderung die Bildung sein, die zum Schlüssel für eine Gesellschaft wird. Für mich persönlich heißt das: In 25 Jahren hat Bildung einen viel höheren Stellenwert. So lösen wir gemeinsam – als Gesellschaft – auch zukünftig jedes Problem, das sich uns präsentiert. Problematisch finde ich, dass die Investitionen in Bildung diesem Stellenwert nicht gerecht werden.